UEDING, G. Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Türbingen: Niemeyer, 1992-2009, 10 vols.
Hyperbel/ hyperbole, superlatio, superiectio
Ueding, Historisches Wörterbuch: Band IV, 115-122
[p. 115] Mit dem rhetorischen Stilbegriff der Hyperbole wird jede übertriebene Darstellung eines Gegenstandes bezeichnet. Die Rhetorik unterscheidet zwischen der Hyperbole als Tropus und als Gedankenfigur. Für beide Arten ist charakteristisch, dass das aptum verletz wird, indem die Glaubwürdichkeit des Sachverhaltes zugunsten einer starken Anschaulichkeit (evidentia) überschritten wird.Der Einzelwort-Tropus der Hyperbole ersetzt einen angemessenen (verbum proprium) durch übertriebenen Ausdruck. Die Gedankenfigur (figura sententiae) der Hyperbel die die Einzelsatzgrenze überschreiten kann, wird gewöhnlich zur rednerischen Steigerung benutz und kann die Übertreibung in vielfacher Kombination mit anderen Tropen (besonders mit der Metapher) und Figuren (vor allem mit Ironie, Antithese, Klimax, geminatio) zum Ausdruck bringen. Erscheint sie in Form eines Vergleichs (comparatio), so wird die Unangemessenheit der Übertreibung in der Regel gemildert.
Tropus und Gedankenfigur können sowohl zu einer Vergrösserung (auxesis) als auch zu einer Verkleinerung (meiosis) des Gegenstandes führen. (…) In Grenzafällen ist die Verkleinerung kaum von der Litotes (Untertreibung) zu unterscheiden.
Sowohl durch Vergrösserung als durch Verkleinerung wird der Gegenstand aus seiner alltäglichen Erscheinungsweise hinausgeworfen. Dieser ‚Überwurf’ kann im Bereich des Möglichen und Wahrscheinlichen verbleiben oder darüber hianusgehen und ins Unwirklich bzw. Undenkbare und Paradoxe vorstossen.
Alle Arten der Hyperbel können mehreren Wirkungsabsichten dienen. Dabei kann zwischen einem ‚naiven’ und einem ‚reflektierten’ Gebrauch der Hyperbel unterschieden werden. Da die Hyperbel die Phantasie durch ihre starke Anschaulichkeit (evidentia) aktiviert findet sie sich besonders in der leidenschaftlichen und emotionalen Sprache und eignet sich vorzüglich zur Erregung starker Affekte (pathos, movere). Da dies aber zugleich durch Ausserung einer bewussten Unwahrheit erreicht wird, liegt es nahe, dass sich die Hyperbel für sophistische Täuschungs-und Manipulationsabsichten instrumentalisieren lässt. Wegen ihres ‚Lügencharakters’ wurde sie in der rhetorischen Tradition immer stark restringiert, indem man versuchte, den Verstoss gegen das aptum selbst wieder an das aptum zu binden.