UEDING, G. Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Türbingen: Niemeyer, 1992-2009, 10 vols.
Licentia, oratio libera, parrhesia
Ueding, G. Historisches Wörterbuch: Band V, pp. 253-258
[p. 253] In der Lehre vom Redeschmuck (ornatus), einem Teilbereich der elocutio, steht der von der Verb licere abgeleitete Terminus Licentia für eine Gedankefigur: Der Redner nimmt sich die Freizeit, sein Publikum um der guten Sache willen offen zu rügen, auf die wirkliche oder fingierte Gefahr hin, den Unmut der Hörer zu erregen. In der allgemeinen Kunsttheorie ist die Licentia die Abweichung von der Sprach -oder Kunstregel, die entweder negativ als regellose Willkür oder positiv als gewissen Künstlern bzw. Künsten (insbesondere Dichtung und Musik) zugestandene, geduldete oder gar erwünschte ‚Lizenz’ im Gegensatz zum Regelverstoss (vitium) verstanden werden kann.