UEDING, G. Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Türbingen: Niemeyer, 1992-2009, 10 vols.
Oxymoron, acutifatuum, acutstultum
Ueding, G. Historisches Wörterbuch: Band VI, pp. 469-475
[p. 469] Das Oxymoron gilt als ene Sonderform der antithetischen Wortbeziehung, bei der zwei Ausdrücke von evidenter Gegensätzlichkeit (opposita) in einem Syntagma zusammengefasst werden. Dabei stehen die beiden syntaktisch aufeinander bezogenen Glieder in einem Verhältnis logisch-semantisch unaufhebbarer Widersprüchlichkeit zueinander (contradictio un adiecto) indem das eine , attribuierte Element das andere in einer wesensbestimmenden Eigenschaft in sein kontradiktorisches Gegenteil verkehrt und damit den Gesamtausdruck in referentieller Hinsicht verneint. (…) Der referentiellen Unmöglichkeit des Oxymoron und seiner Negativität auf logischer und semantischer Ebene steht somit seine Positivität aufgrund der syntaktischen Realisierbarkeit des Ausdrucks gegenüber. Auf diese Weise bildet das Oxymoron eine aus zwei Teilen zusammengesetzte, nicht weiter reduzible Formel, die durch die Faktizität ihrer sprachlichen Setzung die Möglichkeit einer Vereinigung der Gesätze -wie ein Paradoxon- andeutet, ohne dass dieser Vereinigung -im Unterschied zum Paradoxon -eine andere Realität zugedacht werden kann als eben die ihrer Konstruktion als oxymorale Formel. (…) p. 470 Das Oxymoron ist mithin die in einer Dopplungsfigur indizierte Verweigerung des dritten, die Antithese aufhebenden Terms und markiert zugleich in seiner durch Kürze geschärften Antithetik dessen Stelle.
In diesem Sinne ist das Oxymoron aus literaturästhetischer Sicht auch als ‚Steigerung der Katachrese’ bzw. als Spielart der ‚kühnen Metafher’ interpretiert worden: Als Katachrese tritt es wie ein fehlender, durch metaphorische Verschränkung erzeugter Name (nomen) auf, der eine Lücke im Lexikon einer Sprache ergänzt, ohne dass diesem verbalen Supplement etwas Reales (res) entspräche. Die mögliche Steigerung liegt dabei in der Unterstellung einer lückenhaften Realität und in der gleichzeitigen Selbstwiderlegung dieser Unterstellung durch den Widersinn ihrer Formulierung die gleichwohl durch Kombination des Sprachmaterials zur supplementären Darstellung gelangt. Als kühne Metapher wirkt das Oxymoron aufgrund seiner Ableitbarkeit aus Pleonasmus oder Tautologie die beide die metaphorische Bildspanne derart kurz halten, dass seine Negativität, vermittelt über die Metaphorisierung der Negation, überraschend hervorsticht. Trotz des Primats der Syntax bei seiner Realisierung erscheint das Oxymoron daher insgesamt als eine Figur der Interferenz von Grammatik, Rhetorik und Logik.